Im Gespräch mit Ingrid Wiesner-Eifrig I: Ideen und Chancen für die Jugendarbeit

Ingrid Wiesner-Eifrig (42) arbeitet seit April 2020 als Jugendreferentin für die Neuapostolische Kirche Nord- und Ostdeutschland. Sie ist studierte Pädagogin und selbst Mutter von drei Kindern im jugendlichen Alter. Ihr Auftrag ist die Förderung und Weiterentwicklung der Jugendarbeit in der Gebietskirche. Welches Konzept ihrer Tätigkeit zugrunde liegt und in welchen Bereichen sie Chancen für die Arbeit mit Jugendlichen sieht, erzählt sie im ersten Teil eines Interviews.

Im Juli 2019 veröffentlichte die Neuapostolische Kirche Nord- und Ostdeutschland die Stellenausschreibung zur Jugendreferentin. Was hat dich dabei besonders angesprochen oder dazu motiviert, als Jugendreferentin arbeiten zu wollen?

Ingrid Wiesner-Eifrig: Durch meine langjährige Mitarbeit im Gospelprojekt (Anm.d.Red. ein im Rahmen des Europa-Jugendtag 2009 gegründeter Gospelchor und inzwischen eigenständiger Verein) habe ich gesehen, was in der Jugendarbeit funktionieren kann und was nicht unbedingt funktioniert. Weitere Erfahrungen und auch Ideen konnte ich dann in verschiedenen Gremien sammeln. Und als diese Stellenausschreibung kam, empfand ich es als Chance, die vielen Gedanken und Ideen auch in die Tat umzusetzen und wirklich etwas in der Jugendarbeit bewegen zu können.

Du sprichst in deinem Konzept von den Schätzen der Kirche, die im Zusammenhang mit der Jugendarbeit stärker hervorgehoben werden sollten. Was sind das für Schätze?

Die Schätze, die Kirchen generell, aber auch unsere im Speziellen anbietet, sind ein kirchliches Gesamtpaket: Die Kirche bietet Gemeinschaft, einen Lebenssinn oder zumindest Erklärungen, um den Lebenssinn zu finden. Dann etwas ganz Großes: ein Glaubensziel. Der Schatz unserer Kirche im Speziellen sind auch die vielen, sehr motivierten Glaubensgeschwister, die sich über alle Maße engagieren. Das ist schon der Wahnsinn und das muss man einfach durch die Entwicklung von Strukturen stärken und ausbauen, in meinem Fall für die Jugendbeauftragten auf allen Ebenen.

Einen ersten Eindruck der aktuellen Jugendarbeit in den Bezirken und Gemeinden konntest du dir in den letzten Wochen persönlich verschaffen, indem du den Jugendbeauftragten in den Apostelbereichen dein Konzept vorgestellt hast. Wie ist dein erster Eindruck von der Jugendarbeit vor Ort?

Ich sehe viel Potential und das ist der Struktur unserer Kirche zu verdanken. Es gibt Jugendliche und Jugendbeauftragte, die motiviert sind und gute Ideen einbringen. Und wenn man die Ideen so ein bisschen zusammenbringt, braucht es gar nicht so viel Neues. Einiges ist schon vorhanden. Gleichzeitig bringt das Ehrenamt auch Herausforderungen mit sich, die an verschiedenen Orten recht unterschiedlich sind.

Zum Beispiel?

In einigen Bezirken können Jugendbeauftragte gut niederschwellige Angebote, andere gute Events entwickeln und Dritte sind in der Seelsorge sehr gut und bleiben an den Jugendlichen dran. Jeder Bereich hat seine Stärken und andere Themen könnten vielleicht noch gefördert werden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass im ehrenamtlichen Bereich nicht die gleichen Strukturen erwartet werden können, die man von Profis verlangen würde.

Dein Konzept zielt also darauf ab, dass jeder Bezirk eine ganze Palette von Angeboten für Jugendliche entwickeln kann?

Das wäre natürlich der Traum. Aber mein Ziel ist in erster Linie das Instrumentarium bereitzustellen, damit Jugendarbeit gut funktionieren kann. Es braucht Zeit, allen Bereichen eine gewisse Methodenvielfalt oder Ideensammlungen bereitzustellen. Aber das Ziel ist, dass Jugendbeauftragte bei Problemen oder Fragestellungen darauf zurückgreifen und diese konkret angehen können. Manchmal ist auch erst das Fördern des Problembewusstseins ein Teil meiner Arbeit. Jugendbeauftragte sollen in die Lage versetzt werden, ihre Arbeit so machen zu können, dass sie vor allem auch selbst mir ihrer Arbeit zufrieden sind. Ich denke schon, dass unsere Jugendbeauftragten dazu fachlichen und methodischen Input von uns erwarten und auch benötigen.

Du hast eben vom „Zusammenbringen“ gesprochen, das Verknüpfen von vorhandenen Strukturen. In deinem Konzept führst du dazu verschiedene Stationen auf. Welche Stationen sind das?

Der erste grundlegende Schritt ist, die Glaubensgeschwister vor Ort kennenzulernen. Ich möchte jeden Bezirk besuchen und die Jugendbeauftragten, aber auch die Jugendlichen kennenlernen, um anschließend zielgruppengerechte Angebote mit ihnen zu erarbeiten.

Sind dir bereits gewisse Unterschiede zwischen den Bezirken aufgefallen?

Es müssen nicht nur Unterschiede zwischen den Bezirken sein, es kann auch innerhalb eines Bezirks unterschiedlich sein. Manche Gemeinden sind recht modern oder unkonventionell, möchten eigene, neue Wege gehen – soweit es möglich ist. Andere Gemeinden sind eher traditionell geprägt oder konformistisch. Das kann Gräben aufwerfen, die in der Zusammenarbeit aber ausgeglichen werden können.

Wie könnte diese Zusammenarbeit aussehen?

Was für mich ein wichtiger Teil der Arbeit ist und Kirche attraktiver macht, ist die Beteiligung der Jugendlichen. Im Idealfall stelle ich mir für jeden Bezirk die Etablierung von Jugend-Orga-Teams vor (Anm.d.Red. feste Jugendgruppen zur Organisation von Angeboten), um Jugendliche in die Organisation und Planung einzubeziehen. Natürlich sollte die Planung in enger Verzahnung mit den Jugendbeauftragten erfolgen, damit nicht aneinander vorbei gearbeitet wird. Aber Jugendfreizeiten oder -Gottesdienste – es gibt so viele Möglichkeiten der Organisation, wenn den Jugendlichen entsprechende Freiräume gegeben werden. Ich denke da an die Musik, Organisation von Jugendherbergen oder Orte für Gottesdienste. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei dieser Zusammenarbeit am Ende Ergebnisse rauskommen, die von Jugendlichen als ansprechend empfunden werden, ist meines Erachtens sehr groß.

Jugendbeauftragte sollten also nicht die entscheidende Instanz in der Jugendarbeit sein?

In den Jugend-Orga-Teams können natürlich auch Jugendbeauftragte Mitglied sein. Ich möchte da keine Vorgaben machen. Es wird vielerorts am Anfang oft nicht ohne Jugendbeauftragte gehen. Und das ist in Ordnung.

Oder mehr Jugendliche könnten selbst Jugendbeauftragte sein.

Das ist eine sehr gute Idee! Denn wenn man jung ist, weiß man auch wie die Jugendlichen ticken. Natürlich fehlt jungen Menschen manchmal die Erfahrung oder das Fachliche. Aber da sehe ich kein Problem. Gerade für junge Menschen, ab 16 Jahren gibt es die Möglichkeit, die Jugendleiter/In-Card (Juleica) zu erwerben. Die Juleica ist eine standardisierte Ausbildung, die zur Arbeit mit Jugendlichen befähigen soll. Und diese Ausbildung wird von der Kirche gefördert. Ich kann nur jedem Jugendlichen empfehlen: Ja, macht einfach mit und dann schaut, ob ihr euch vielleicht diese fachliche Unterstützung holen könnt.

Die Verzahnung und Kommunikation zwischen den Jugendbeauftragten ist eine weitere Station deines Konzepts.

Richtig, denn ich halte die Einführung einer zentralen Kommunikationsplattform für sinnvoll, wo sich Jugendleiter austauschen können und ein gewisser Ideenpool mit verschiedenen Formaten entsteht. Sie dienen als Anregung für eigene Veranstaltungen und im Idealfall ist der Ideenpool öffentlich zugänglich. Auch eine Neuauflage eines Handbuchs für Jugendbeauftragte wäre denkbar, das Themen gut verdaulich und für die tägliche Arbeit vor Ort zusammenfasst. Dies sind Stationen, die innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre gut vorankommen können.

Eine weitere Idee ist die Durchführung von Profilgottesdiensten.

Profilgottesdienst ist natürlich ein Arbeitstitel. Aber die Idee ist, dass Gottesdienste für Jugendliche ganz besondere Gottesdienste sein sollen und dürfen. Und das ist eben auch mit diesem Profil gemeint. Woran wir nicht rütteln, ist der liturgische Ablauf. Dieser ist gesetzt. Aber es gibt so viele Möglichkeiten die eigentliche Kernzeit, außerhalb des liturgischen Rahmens, auszuweiten, also vorneweg oder hinterher, und kreative Ideen einzubringen. Da ist man nicht gebunden und könnte besondere Elemente einbinden.

In unseren Gemeinden gibt es bereits bestimmte Angebote für verschiedene Altersgruppen: für Kinder, Jugendliche oder Senioren. Sollte diese Aufteilung weiter vorangetrieben werden?

Also man muss sicherlich nicht immer in Gruppen denken. Es kann auch eine Entwicklung in der Gemeinde geben, die es den Jugendlichen ermöglicht, sich einzubringen und somit genauso ein Teil der Gemeinde zu sein wie die Senioren oder das sogenannte mittlere Alter. Die Jugendlichen sind nicht die Zukunft der Kirche, sie sind die Gegenwart der Kirche – und deswegen muss sie auch vor Ort in der Gemeinde präsent sein.

Das Interview führte Jennifer Mischko.

Der zweite Teil des Interviews wird in der kommenden Woche veröffentlicht. Darin berichtet Ingrid Wiesner-Eifrig, wie die Arbeit in der Gemeinde mit Jugendlichen aussehen kann und inwieweit die Jugendbeauftragten in ihrer Tätigkeit unterstützt werden können.

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